Unsichere Aufenthaltsperspektiven 2024

Internationale Krisen prägen Weiterwanderung

Weiterwanderung ist die deutsche Übersetzung des Fachbegriffs „Resettlement“ und bedeutet die Ansiedlung von Flüchtlingen in einem Drittland. Verschiedene Länder wie zum Beispiel die USA, Kanada, Australien, Neuseeland, Schweden, Island, Brasilien nehmen jedes Jahr eine vorab festgelegte Zahl von schutzbedürftigen Flüchtlingen aus Erstaufnahmeländern nach bestimmten Kriterien auf. Diese Kriterien sind in der Regel im Einwanderungs- oder Aufenthaltsgesetz des jeweiligen Landes oder den entsprechenden Durchführungsbestimmungen näher bestimmt.

Bereits seit Jahrzehnten ist der Raphaelswerk e. V. als einzige bundesweite Arbeitsstelle in diesem Arbeitsfeld der fachlich versierte Ansprechpartner in Fragen zum Thema Weiterwanderung in ein Drittland. Seit Oktober 2016 unterhält der Raphaelswerk e. V. eine bundesweite Anlaufstelle für Weiterwanderungsfragen, offen u. a. für Beraterinnen und Berater, die sich im Flüchtlingsbereich mit Fragen einer Rückkehr ins Herkunftsland oder einer Weiterwanderung konfrontiert sehen.

Die Weiterwanderungsberatung des Raphaelswerkes richtet sich vornehmlich an Menschen mit unsicheren Aufenthaltsperspektiven in Deutschland. Es gilt daher, in der Beratung immer erst einmal zu eruieren, welche Optionen Ratsuchende zur Verfügung stehen (Verbleib in Deutschland, Rückkehr ins Herkunftsland oder Weiterwanderung in ein Drittland) und wie tragfähig und zumutbar diese Optionen sind. 

In der Weiterwanderungsberatung steht daher die unerlässliche Klärung der persönlichen und aufenthaltsrechtlichen Situation der Ratsuchenden an erster Stelle, um überhaupt die Grundlage für die Beratung zur Weiterwanderung in ein Drittland festzustellen. 

Nahaufnahme eines Computerbildschirms, der die deutsche Wikipedia-Seite zum Thema Resettlement anzeigt, wobei die Abschnitte für Artikel und Diskussion sichtbar sind.
Menschen laufen auf einem Laufband in einem Flughafen, durch dessen Fenster Sonnenlicht fällt. Eine Person im Vordergrund trägt eine schwarze Tasche.

Aufgrund oftmals fehlender humanitärer Aufnahmeprogramme, die, wenn es sie gibt, meist krisenbezogen und befristet sind, rücken zunehmend die gesetzlich geregelten Migrationswege auch in der Weiterwanderungsberatung in den Fokus. Dazu gehören:

 

Daher benötigt eine qualifizierte Weiterwanderungsberatung neben den spezifischen Fachkenntnissen zu Resettlement (Sponsorship-Programme, Sonderregelungen etc.)  auch die Fachkompetenz aus den Bereichen der klassischen Auswanderungsberatung sowie aus der Rückkehrberatung.

Der Fachbereich Weiterwanderung im Raphaelswerk sammelt daher relevante Informationen und bereitet diese so auf, dass Beratende ihren Klientinnen und Klienten realistische Perspektiven für eine Weiterwanderung, eine Rückkehr ins Herkunftsland oder auch einen Verbleib in Deutschland aufzeigen können. Regelmäßige und aufwendige Recherche sowie kontinuierliche Fortbildung sind demzufolge oftmals unerlässlich.

Die bundesweite Anlaufstelle umfasst daher drei Arbeitsschwerpunkte:

  • Qualifizierte Perspektivberatung und Verfahrensbegleitung im Bereich der Weiterwanderung von Geflüchteten
  • Ständige Erweiterung und Aktualisierung des vorhandenen Wissensmanagements
  • Bundesweite Multiplikatorenarbeit – Sensibilisierung und Schulung von anderen Beratungsstellen für Geflüchtete und Drittstaatsangehörige (z. B. Beratungsstellen zur freiwilligen Rückkehr, Ausreise- und Perspektivberatungsstellen, Anlaufstellen für Geflüchtete und Drittstaatsangehörige, Behörden etc.) zu den Themen der Weiterwanderung sowie Vermittlung grundlegender Kenntnisse der Weiterwanderungsberatung.

Erfahrungen und Erkenntnisse

Die Weiterwanderungsberatung im Raphaelswerk e. V. war im Jahr 2024 – wie auch in den Jahren zuvor – stark nachgefragt. Haupt- und ehrenamtlich Tätige in der Flüchtlingsarbeit suchten Unterstützung in komplexen, fallbezogenen Fragestellungen. Die zentralen Themen in der Weiterwanderungsberatung sind weiterhin die klassische Weiterwanderung mit Flüchtlingseigenschaften, Familienzusammenführungen sowie weitere Einwanderungsoptionen in Drittstaaten.

Die Beratungsarbeit war 2024 geprägt von internationalen Krisen wie dem Krieg in der Ukraine oder der Machtübernahme der Taliban in Afghanistan. Die Sonderaufnahmeprogramme verschiedener Staaten für Menschen aus diesen Ländern waren und sind Grund zur Hoffnung für viele von Krieg und Verfolgung Betroffene. Die Details und Voraussetzungen dieser Programme erfordern jedoch eine ständige Aktualisierung von Informationen, intensive Zusammenarbeit mit Organisationen und Institutionen in den Zielländern sowie eine Einordnung für den jeweiligen Einzelfall.

Im Rahmen dieser Multiplikatorenarbeit wurden daher, wie in den Jahren zuvor, Schulungen (z. B. für das Rückkehrberatungsteam des Diözesanen Caritasverbands Erfurt) durchgeführt. Auf den 8. Münsteraner Tagen zur Flüchtlingsarbeit konnte das Themenfeld Weiterwanderung zudem in einem Fachimpuls vorgestellt werden.

Für komplexe Einzelfälle konnten Beratende und Ratsuchende auf eine individuelle Beratung und engmaschige Begleitung durch den Fachbereich zurückgreifen – per Telefon, E-Mail oder Videotelefonie. Im Jahr 2024 konnte die Fachstelle so mittelbar an insgesamt 541 Beratungen mitwirken.

Eine Frau mit langen Haaren und Brille sitzt an einem Schreibtisch mit einem Computer, Papieren und Büromaterial und lächelt in die Kamera in einem gut beleuchteten Büro.
Larisa Schälike, Referentin Flucht und Migration · Foto: © Raphaelswerk / Kerstin Pukall
Drei Frauen sitzen drinnen und unterhalten sich. Eine hält ein Telefon, die andere trägt ein Namensschild. Durch das Fenster fällt Tageslicht ein.

Ungefähr die Hälfte der Ratsuchenden verfügte über einen Aufenthaltstitel in Deutschland (in erster Linie ukrainische Staatsangehörige), während der andere Teil entweder im laufenden Asylverfahren, geduldet oder ohne Aufenthaltstitel war.

Die Motive für eine Weiterwanderung waren auch 2024 wieder vielfältig. Der Großteil der Ratsuchenden (40,3 %) gab persönliche oder familiäre Gründe an – dahinter verbergen sich so unterschiedliche Auslöser wie Integrationsschwierigkeiten, mangelnde berufliche Perspektiven, Planungssicherheit für die Familie oder die Verantwortung für ältere und bedürftige Angehörige. Aufenthaltsrechtliche Gründe waren der zweithäufigste Anlass für eine Weiterwanderung anzustreben (33,5 %) – hier ist die Beratung meist mit hohem Zeitdruck verbunden.

Die Familienzusammenführung außerhalb Deutschlands ist nach wie vor ein weiterer wichtiger Grund. Familien trennen sich auf dem Fluchtweg und suchen nach einer Möglichkeit, wieder zusammenzuleben. Diese Verfahren sind in den Zielländern kompliziert und zeitaufwändig. Sie sind ohne fachliche Unterstützung meist nicht zu bewältigen.

 

Perspektiven    

In der Beratungsarbeit zeigte sich auch 2024, wie wichtig es ist, Menschen in unsicheren Lebenslagen vor Fehlinformationen aus der „Gerüchteküche“ zu schützen. Eine fundierte, kultursensible Beratung ist dafür unverzichtbar. Unser Ziel bleibt es, durch Vernetzung, Wissenstransfer und Einzelfallbegleitung realistische Perspektiven für Ratsuchende aufzuzeigen, damit sie eine tragfähige Entscheidung für ihre Zukunft treffen können.

Vorheriger Icon
ERASMUS+
Nächster Icon
Öffentlichkeit